Autor: Angeley D. Eckardt, geschrieben: 2010-03-03
Short Story / Satire
Ohne Qual keine Wahl
Ich werde demnächst an einer Casting-Show teilnehmen!
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich kann weder singen (‚Deutschland Sucht Den Superstar'), noch bin ich eine besonders hübsche Frau (‚Germany's Next Topmodel') oder ein aufmerksamkeitssüchtiger Soziopath mit der Obsession, mein Intimleben in der BRAVO abgedruckt zu sehen (‚Deutschland Sucht Den Superstar' oder ‚Germany's Next Topmodel').
Ich will einfach nur die Gelegenheit bekommen, mal wieder an einer richtigen Auslese teilzunehmen - ohne wenn und aber. Denn man kann sich heutzutage wenden, wohin man will, es gibt keine echten Leistungsbeurteilungen mehr für die Menschen. Die Spreu trennt sich nicht länger vom Weizen, das "survival of the fittest" hat, ganz zeitgemäß, starke Konjunkturschwächen.
Das macht unsicher und darüber hinaus ist es gefährlich. Man stelle sich so etwas mal in der Steinzeit vor: eine Gruppe von drei Höhlenmenschen flieht vor dem fotogenen, aber gefährlichen Säbelzahntiger. Der schnellste und cleverste schafft es über schlau ausgesuchte Umwege rechtzeitig in den Unterschlupf; die zwei langsamen, schwächlichen, hässlichen Höhlenmenschen werden vom Tiger eingeholt. Er stürzt auf sie zu, reißt sein Maul auf, zieht einen selbst geflochtenen Korbstuhl daraus hervor, auf den er sich geschmeidig setzt, und blickt die beiden verständnisvoll an. "Mensch, Ihr habt Euch echt angestrengt, das hab' ich gesehen. Ganz toll, ehrlich. Ich erkläre Euch hiermit zu zweitem und drittem Sieger und finde es total dufte, dass Ihr dabei wart. Danke und noch einen guten Heimweg. Macht weiter so!"
Lächerlich, sagen Sie? Sehr bedenklich, sage ich.
Die zwei Höhlenmenschen gehen nämlich tatsächlich nach Hause und machen weiter. Zum Beispiel mit der Höhlenmenschenfrau, die dann eine Reihe von langsamen, hässlichen Höhlenmenschen gebiert. Und 30.000 Jahre später kommt Kurt Beck zur Welt.
Zufall, sagen Sie? Vermeidbar, sage ich.
Zugegeben, es ist damals nicht so passiert, wie ich es geschildert habe und der SPD-Problembär war trotzdem nicht zu verhindern. Aber das heißt nicht, dass wir heute nicht höllisch aufpassen müssen, wenn wir ein über Jahrtausende erprobtes System aufweichen.
Nehmen Sie doch nur die Diskussion darüber, ob man in der Grundschule noch Noten verteilen und nicht stattdessen auf super einfühlsame (und extrem arbeitsintensive) Lehrerbriefe umsteigen sollte. "Die Kinder werden zu früh unter Leistungsdruck gesetzt!", hört man Pädagogen sagen, und: "Wir wollen den Kindern nicht das Gefühl geben, dass wir sie als MENSCHEN abwerten!".
Richtig, das stimmt. Wir vermitteln ihnen lieber das Gefühl, dass es "voll in Ordnung" ist, wenn man mit elf Jahren noch nicht richtig lesen kann. Unter solchen Umständen aber kommt natürlich die Verteilung der kleinen Racker ins ebenso geächtete dreigliedrige Schulsystem IMMER zu früh, egal wann sie stattfindet...
Wie das in der Praxis aussieht?
Folgendermaßen: Dem 14-jährigen, "lernschwachen" und grenzwertig aggressiven Serkan* kann nicht zugemutet werden, ihn auf eine Schule zu schicken, die seinen "Leistungen" angemessen ist. Man weiß ja nicht, wann er vielleicht seine Liebe zu Fremdsprachen (Englisch, Deutsch) oder gewaltloser Konfliktlösung entdecken wird. Wann wird er sich zwischenmenschlich entwickeln? Wann wird aus dem Schlagring ein Verlobungsring? Auch seine, deutlich jüngeren, Klassenkameraden profitieren von dieser heterogenen Klassenzusammensetzung. Sie lernen ebenfalls Neues, beispielsweise wie man kleinere Verletzungen ganz alleine behandelt, ohne zu "petzen", oder wie man das Geld fürs Pausenbrot blitzschnell unter der Zunge verstecken kann. Alle in einen Topf werfen ist also die neue Losung - Serkan rührt dann schon um.
Und das geht später so weiter.
An der Uni treiben sich Studiengänge herum, in denen schlechte Leistungen der Studenten erst bemerkt werden, wenn sie die Anmeldeunterlagen fürs Examen ausfüllen (STUDIENFÄCHER: Gemantistick / Gechischde). Hausarbeiten schreiben kann wortwörtlich jeder, sogar der beste Freund, den man dafür bezahlt. Studieren leicht gemacht und natürliche Auslese schwierig.
Und im Geschäftsleben dann hat man seine liebe Not, die ganzen Rohrkrepierer wieder loszuwerden. Kündigungsschutz, Menschenrechte, Mediensympathien - oft haben die langsamsten Höhlenmenschen die besten Karten in der Hand, und, was soll ich Ihnen sagen, ich bin es jetzt leid.
Ich bin lange genug weichgespült worden. Nicht ohne Grund habe ich gefühlte 12 Jahre ohne nennenswerten Widerstand zwei Sprachen studieren können (Egnlihs / Gemranistk).
Der letzte Ausweg scheint mir da der Casting-Wahnsinn. Der ist zwar effekthascherisch, manipuliert und von Myriaden Werbepausen verstümmelt, aber wenigstens bleiben dabei Menschen auf der Strecke. Ich beginne morgen damit, wahllos Pädagogen und Personalchefs anzurufen und ihnen zu raten, sich die Sendung, in der ich gecastet werde, anzusehen. "Holt Euch Anschauungsunterricht im Selektieren und Erniedrigen Wehrloser!", werde ich ihnen zurufen, "Ihr werdet es noch brauchen!".
Dann wird endlich ein Ruck durchs verstaubte Kuschelsystem gehen. Man wird Menschen wieder nach zehnsekündiger Ansicht in geistige Schubladen und Mülleimer stecken. Hilflose Höhlenmenschen ganz am Boden - wäre der Säbelzahntiger nicht schon ausgestorben, er würde nun erwartungsvoll beginnen zu sabbern.
Von Serkan allerdings bekäme vermutlich sogar ER auf die Fresse.
Satire: (lat. satira; von lanx satura: "mit Früchten gefüllte Schale", im übertragenen Sinne: "bunt
gemischtes Allerlei") ist eine Spottdichtung, die mangelhafte Tugend oder gesellschaftliche
Missstände anklagt. Historische Bezeichnungen sind im Deutschen auch Spottschrift,
Stachelschrift und Pasquill (gegen Personen gerichtete Satire).
Unter Satire kann man folgendes verstehen:
- die satirische Schreibweise oder Textart, die in verschiedensten medialen Formen auftritt (Roman, Gedicht, Essay, Drama, Comic, Kabarettprogramm, Website usw.)
- gesellschaftskritische und politische Satire (19. und 20. Jahrhundert)
- ein einzelnes künstlerisches Werk, das von der satirischen Schreibweise Gebrauch macht oder der Gattung angehört.
Als Realsatire bezeichnet man umgangssprachlich Ereignisse und Vorgänge, die so absurd erscheinen,
dass selbst ihre nüchterne Beschreibung bereits Züge einer Satire trägt.